Der Häftlinge steht an einer Bohrmaschine. Neben ihm stehen ein fachlicher und ein sozialpädagogischer Betreuer.
Handwerkskammer Aachen - Alexander Bank
Die Häftlinge werden von fachlich und sozialpädagogischen Experten während ihrer Zeit in der JVA Heinsberg betreut.

News 13.05.2025Handwerksnachwuchs aus dem Gefängnis

Das Projekt »Handwerk im Hafthaus« ist nicht nur ein wichtiger Baustein der Resozialisierung der Häftlinge in der JVA Heinsberg, sondern eröffnet auch Handwerksbetrieben vielfältige Möglichkeiten der Mitarbeitergewinnung.

Krimifans kennen solche Szenen: Die Gefängnistür öffnet sich quietschend und   entlässt einen Menschen in die ungewohnte, unsichere Freiheit. Zugunsten der Dramaturgie wabert meistens Nebel durch die Szene, der Himmel ist grau. Doch die Realität kann für Haftentlassene deutlich heller sein: Mit einer klaren Perspektive, Sicherheit und der Aussicht auf eine geregelte berufliche Zukunft – in den Betrieben des Handwerks.

Die Grundlagen wachsen schon in der Zeit hinter Gittern: In der Justizvollzugsanstalt Heinsberg erlernen Strafgefangene im Alter zwischen 14 und 24 Jahren Grundlagen und Fertigkeiten, die sie fit machen für eine Berufsausbildung nach ihrer Entlassung – oder für mehr. Denn das Qualifizierungspaket in der JVA umfasst mehrere Stufen: Vermittlung berufsbezogener Grundlagen, Fachqualifikationen (wie etwa Schweißen), Umschulungsangebote und Ausbildungsgänge mit abschließender Handwerkskammer-Prüfung für Hochbaufacharbeiter, Maurer und Maler sowie Lackierer. Die „Arbeitsumgebung“ ist dabei hochprofessionell: Das JVA-Ausbildungspersonal ist in seinem Fachbereich und pädagogisch hochqualifiziert, Maschinen und Werkzeuge auf neuestem Stand und topgepflegt.  

„Mindestens genauso viel Fachwissen“

Ein Element fehlt zwangsläufig bei der Ausbildung hinter Gittern:  Arbeiten im Betrieb oder auf der Baustelle sind aus verständlichen Gründen nicht möglich. Dafür ist die Qualifikation in der JVA in Sachen Theorie und Anwendungspraxis besonders intensiv. Peter Lipperts, Koordinator für berufliche Bildung in der Heinsberger JVA, verwies mit gewissem Stolz bei den JVA-Werkstatttagen Anfang April auf den Vergleich zwischen Auszubildenden „draußen und drinnen“: „Junge Leute, die in der Haft ihre Ausbildung gemacht haben, besitzen mindestens genauso viel Fachwissen wie Azubis aus den Betrieben.“ In den Werkstätten gibt es klare Strukturen, hier schlafe keiner oder vergesse, dass er an die Werkbank müsse; für die Altersgenossen „draußen“ stellten solche Regeln ja mitunter echte Hürden dar.

Felix Kendziora, Arbeitnehmer-Vizepräsident der Handwerkskammer Aachen, besuchte jetzt gemeinsam mit Michael Neuhaus, „Amtskollege“ der HWK Südwestfalen, die JVA-Werkstätten in Heinsberg. Kendziora fasste die Bedingungen für eine auch beruflich gelungene Resozialisierung zusammen: Entscheidend seien Motivation und der Wille, hinter Gittern Perspektiven für die „Zeit danach“ aufzubauen. „Dabei bringen die Insassen zumeist so gut wie keine nennenswerte Schulbildung mit“, erläuterte Thomas Nyhsen, in der JVA Heinsberg Koordinator des Bereiches „Handwerk im Hafthaus“: „75 Prozent der Inhaftierten besitzen keinen Schulabschluss.“

Technik-Tauglichkeit wird geprüft

Die Ausbildung hinter Gittern erfolgt an modernen Maschinen und nach den Vorgaben der Ausbildungsordnung von »draußen«.
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Die Ausbildung hinter Gittern erfolgt an modernen Maschinen und nach den Vorgaben der Ausbildungsordnung von »draußen«.

Die Häftlinge werden von fachlich und sozialpädagogischen Experten während ihrer Zeit in der JVAHeinsberg betreut.
Handwerkskammer Aachen - Alexander Bank
Die Häftlinge werden von fachlich und sozialpädagogischen Experten während ihrer Zeit in der JVA Heinsberg betreut.

Daher umfasst die Grundqualifikation in der JVA auch Bausteine wie solide Deutsch-Kenntnisse und einen Überblick über die „technische Sprache“ in den Werkstätten. Ein weiterer wesentlicher Schritt in Richtung handwerkliche Qualifikation ist der Umgang mit den hochwertigen Maschinen und Werkzeugen: „In den meisten Fällen dürfen die Gefangenen erst nach einem halben Jahr zum ersten Mal an die Maschinen und schon damit gehen wir ein hohes Risiko ein“, berichtete Lipperts. Ein Blick auf die hochwertige und damit teure Werkstätten-Ausstattung von der Flachdübelfräse über Kantenleimmaschinen, Formatkreissägen bis zur Universaldreh- und CNC-Fräsmaschinen ist Erklärung genug. Also prüfe man die Technik-Tauglichkeit sehr genau und siebe dann auch aus: „Gut 30 Prozent der Leute kommen dann in den Genuss, an den Maschinen arbeiten zu dürfen.“ 

„Jeder Strafgefangene absolviert eine vierwöchige Probephase in den Werkstätten. Danach entscheiden wir, ob er dort bleibt“, erklärte Nyhsen. Auf die anschließende berufliche Ausbildung folgt die Qualifikation fürs „Leben draußen“; in der JVA-Sprache heißt die Phase „intensive Entlassvorbereitung“.

Wer sich in diesen drei Abschnitten bewährt, steht auf der Empfehlungsliste für Betriebe, erklärte Kendziora und trat möglichen Bedenken gegen die „Jungs aus dem Knast“ entgegen: „Die Arbeitgeber können sicher sein, dass diese Kandidaten handverlesen und damit charakterlich geeignet sind.“ Die Bilanz des vergangenen Jahres belegt dies: Elf junge Männer wurden an Betriebe vermittelt. Nyhsen bilanziert kurz und knapp: „Das hat bis jetzt alles gut geklappt.“  Natürlich gehört es auch dazu, dass die „Gegenseite“ mit offenen Armen empfangen wird: Handwerksbetriebe haben jederzeit die Möglichkeit, die Werkstätten in der JVA zu besichtigen und sich von den Ausbildern über ihre Arbeit und die Kooperationsmöglichkeiten informieren zu lassen.

„Kein Betrieb wird alleingelassen“

Vizepräsident Kendziora hob passend dazu hervor, dass die Betreuung mit der „Übergabe“ der jungen Männer an die Betriebe noch lange nicht beendet sei: „Kein Betrieb wird alleingelassen, das ist unsere klare Botschaft. Wir stehen ihnen immer zur Seite.“

Florian Ophoven konnte für seinen Arbeitsbereich als Ausbildungsberater bei der Handwerkskammer Aachen beipflichten: „Wir unterstützen diese Ausbildungen wie jedes ‚ganz normale‘ Ausbildungsverhältnis auch.“ Seiner Erfahrung nach gibt es kaum Unterschiede zwischen Ex-Inhaftierten und anderen Auszubildenden: „Die Probleme sind die gleichen.“ 

 www.handwerk-im-hafthaus.de